Montag, 27. Dezember 2010

Coppelius Live Review Kesselhaus Berlin


Live Review
Berlin, Kesselhaus – 21.12.2010
Coppelius, Tara La Loba, Pierre Besolum

Auch in diesem Jahr kehrt kurz vor Weihnachten der gute Ton in die Konzertsäle des Landes zurück. Diesmal ist es allerdings nicht der Columbiaclub, der mit Zylindern und Gehröcken bevölkert wird, sondern das Kesselhaus der Kulturbrauerei. Das Publikum hat sich hingegen kaum verändert. Metaller, Gothics, Folker, ein paar Alternative, ein paar Abenteuerlustige. Zum Beginn sieht die Halle ungefähr halb voll aus, zum Headliner füllt sie sich dann, so dass Luft und Platz recht knapp werden. Das große Banner, das von Anfang an der Rückwand hängt, macht in der höheren Location was her. Auch ansonsten ist der Platz auf der Bühne von Anfang an gut ausgenutzt. Ebenso sieht es am Merchandisestand aus, wo es neben den üblichen Shirts (12-15 €) auch Weihnachtsschmuck und Triangeln gibt.

Der Support für Berlin war leider nicht flächendeckend vorher angekündigt. Manche Leute munkeln von einer Tanzeinlage, aber eigentlich weiß kaum jemand irgend etwas Genaues. So ist man auch etwas überrascht, als plötzlich ein mit Fliegerbrille und Rundhut ausgestatteter Alleinunterhalter die Bühne betritt. Leider wird PIERRE BESOLUM dem allgemeinen Anspruch nach dem guten Ton im Konzertsaal in keinster Weise gerecht. Auf allerlei Gegenständen wird herumgekloppt, dazu wird Keyboard gespielt, gesungen, einmal kommt auch ein Kornett zum Einsatz, und alles wird per Loop in die Endlosschleife gepackt. Das ist in dieser Form leider absolut uninnovativ und austauschbar. Da PIERRE BESOLUM zudem über das absolute Nulltalent verfügt, seine erzeugten Geräusche in halbwegs nachvollziehbare Strukturen zu gießen, sind die Reaktionen eher verhalten. Musikalisch ein Nullpunkt.

Auch TARA LA LOBA FEAT. THE TRIBAL DIVAS können an dieser Stelle nicht überzeugen. Die Truppe bezeichnet das, was auf der Bühne passiert, als rituellen Tanz. Zuallererst Mal, ich bin kein Tanzexperte und habe dieser Kunstform nie wirklich viel abgewinnen können. Allerdings habe auch ich Augen im Kopf und ein gewisses Empfinden für Ästhetik. Sowohl die einen wie auch das andere sind keineswegs begeistert. Während die Einzeltänzerin motiviert, aber austauschbar über die Bühne wirbelt und die knappen Outfits durchaus auch Dinge zeigen, die niemand so recht sehen will, lässt die Tanzgruppe die gemeinsame Praxis im Bezug auf Taktgefühl und Koordination vermissen. Oder auf Deutsch: Sie renne sich fast um und sind bei Simultanbewegungen so weit auseinander wie Berlin und Tokio. Als sich die Einzeltänzerin danach als dunkler Engel präsentieren will, ist das tendenziell unfreiwillig komisch. Es gibt etwas Höflichkeitsapplaus, aber auch nicht mehr.

Man möge mir Kulturbanausen verzeihen, aber so ein schwaches und vor allem unpassendes Vorprogramm habe ich selten erleben müssen. Den Mut der Herren für Experimente in allen Ehren, aber das Ziel, das Publikum aufzuwärmen, ist klar verfehlt worden – vom guten Ton mal ganz zu schweigen.

Dafür entschädigen die werten Herren aber, als sie dann endlich die Bühne betreten. Endlich wieder in lange Mäntel gewandet, fährt die Kutsche COPPELIUS knappe zwei Stunden lang Galopp. Mit dem neuen, recht heftigen „Der Handschuh“ startet das Fest des guten Tons, und auch andere neue werke wie etwa das stampfende „Risiko“, „Damen“ oder „Ein Automat“ fügen sich gut in den Kontext der alten Stücke wie „Murders in the rue Morgue“, „Schöne Augen“, „Time-Zeit“, „Habgier“, „My Creator“ oder „Der Advokat“ ein. Dabei ist es ziemlich bemerkenswert, dass die Double-Bass Passagen bei den neuen Stücken seltener werden und ein eher stampfender Charakter bevorzugt wird, wobei keinerlei Härteverlust stattfindet. Etwas aus dem Rahmen fällt an dieser Stelle das eingängige, aber schon etwas poppige „Coppelius hilft“, das definitiv Singlepotenzial aufweist. Mit „Gumbagubanga“ hat sich leider auch ein Ausreißer nach unten in die Setlist geschlichen – musikalisch austauschbar und textlich im Kontext der Band etwas belastend dümpelt die Nummer vor sich hin. Das hingegen die eine oder andere gern gehörte alte Nummer fehlt (etwa „Operation“, „Die Glocke“ oder „Morgenstimmung“) ist bei dieser langen Spielzeit leider nicht zu ändern.
Dafür zeigen sich die Mitglieder der Kapelle quietschfidel und überzeugen ein weiteres Mal von der Gesundheit ihres Lebensstils. Mehr noch, besonders Butler Bastille hat definitiv eine Entwicklung durchgemacht – vor allem was seine Shouts angeht. Wo die anderen Mitglieder weiterhin mit herrschaftlicher Zurückhaltung ihre Teile singen, ruft Bastille Stimmfärbungen ab, wie man sie sonst eher von tendenziell rüderen Kapellen wie etwa Kreator, Death Angel oder sogar Mayhem (mit Attila) kennt. Das fügt sich erstaunlich nahtlos in das Gesamtbild ein, die anderen Mitglieder werden dankenswerterweise nie in den Hintergrund gedrängt. In „Time-Zeit“ bekommt Nobusama sein übliches Schlagzeugsolo, der Compte Caspar unternimmt einen Spaziergang durchs Publikum und Graf Lindorf findet man immer häufiger auch stehend vor dem Mikrofon in der Mitte vor. Während der Liverarität „Absinth“ bekommt ein junger Mann aus dem Publikum einen Absinth gereicht, um danach zu „Murders in the rue Morgue“ seinen Nacken kreisen zu lassen.
Nach zwei Zugaben ist mit „1916“ endgültig Schluss – ein würdiger Schlusspunkt, denn die einzige Ballade des Sets schafft besinnliche Stimmung.

Fazit: Ein Jahresende ohne die Herren ist inzwischen recht schwer vorstellbar. In diesem sinne erhebe ich mein Absinthglas auf die nächsten 200 Jahre.

Review von Felix P.
Fotos von Solveig Litzki

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