Samstag, 15. Oktober 2011

Wacken Open Air 2011 - Festival Bericht

Festival Bericht
Wacken Open Air, 3.-6.8.2011

Zum 22. Mal öffnet das Wacken Open Air seine Tore für Metalfans und Festivaltouristen aller Art. Neben einem kaum überschaubaren Programm an Bands gibt es auch dieses Jahr wieder alle möglichen Zusatzattraktionen wie den Jägermeister Hochstand, Wet-T-Shirt Contests, Wrestling etc., so dass die Kirmes Atmosphäre der letzten Jahre noch gesteigert wird. Zudem wird man das Gefühl nicht los, dass der Campingplatz mindestens genauso sehr in Tourihand ist wie in der Hand der Metalfans. Die Entwicklung weg zum Metal Mekka hin zum Mallorca der harten Musik geht unaufhaltsam weiter, und der geneigte Metalfan zahlt inzwischen für diverses mit, das mit der Musik nichts zu tun hat. Der Mittelaltermarkt ist noch eine sinnvolle Ergänzung, vor allem, da er wirklich schön aufgemacht ist, das Bullheadzelt ist neben einigen wenigen dort spielenden Bands in erster Linie Schauplatz für Showpeinlichkeiten und ultraleichter Durchschnittsunterhaltung für RTL-Zuschauer, die Beergardenstage bietet traditionell Raum zum Feiern usw. Die inzwischen schier unüberschaubare Anzahl an Bühnen, auf denen häufig nur unterdurchschnittlicher Feiersoundtrack läuft (hier tut sich vor allem die Wackinger Stage negativ hervor, auf der die meisten Auswüchse zweitklassiger Folk, Polka, Mittelalter und Gothic Musik angeboten werden, die es aufgrund von Genrefremde zum Restprogramm und/oder nicht vorhandener Qualität nicht auf die Hauptbühnen geschafft haben) gibt dem ganzen Gebilde mehr Volksfeststimmung als Festivalatmosphäre.

Auch die sonstigen alljährlichen Kritikpunkte muss man den Veranstaltern immer wieder machen. Der Sound auf den Hauptbühnen ist häufig undifferenziert, mehr als einmal viel zu leise. Das Festivalgelände ist auch dieses Jahr für die Anzahl an Besuchern zu klein – im Falle einer Panik hätte es bei den Headlinern Tote geben können, da nach hinten häufig kaum Ausweichfläche vorhanden war. Die Futterpreise sind wie jedes Jahr astronomisch, die Qualität dabei durchwachsen. Und auch die Security ist gegenüber Crowdsufern häufig roh, am Einlass hingegen ziemlich nachlässig. Viele Bands haben zudem mit extrem lethargischem Publikum zu kämpfen. Wo eine Band auf anderen Festivals Begeisterungsstürme hervorrufen kann, geht hier häufig bereits ab der fünften Reihe gar nix mehr. Das sind die altbekannten Schwächen des Wacken Open Airs, auf die man sich halt einlässt, wenn man dort hin fährt. Dafür bekommt man die Stimmung auf dem Campingplatz, die sehr umfangreiche Händlermeile, die inzwischen fast genauso viele Accessoires wie Merch bietet, dabei den Underground aber nicht vernachlässigt, sowie das vermutlich beste Bandprogramm des Jahres.

Mittwoch

Masters of Comedy: Als eine der neuen Attraktionen wurde das MASTERS OF COMEDY Programm angekündigt (nicht zu verwechseln mit dem am nächsten Tag auftretenden Bülent Ceylan). Das Ganze bewegt sich dummerweise auf niedrigstem Niveau gepaart mit einem Nullfaktor an Humor und erbärmlich schlechten Schauspieleinlagen. Damit könnte man MASTERS OF COMEDY vermutlich nachmittags im Privatfernsehen senden, um das man als Freund von selbst Minimalanspruch und Humor auch einen großen Bogen machen sollte. Ansager Jörg (kennen einige vielleicht aus dem Blackland) kann zumindest für Stimmung sorgen, Mambo Kurt macht mit seinen Soloauftritten sehr viel mehr Spaß, die Begleitband ist nicht ernsthaft erwähnenswert und die anderen auftretenden Flachpfeifen sorgen in aller erster Linie für Fremdschämen. Diesen Punkt bitte ganz schnell wieder entfernen.

Movienight: In der diesjährigen Movienight werden insgesamt drei Filme gezeigt,. Der erste umfasst Ausschnitte aus dem „Rockpop Conzert '83“ Konzertfilm. Besonders interessant sind dabei die Auftritte von Ozzy Osbourne und Judas Priest, die ja in den Folgetagen hier ebenfalls auftreten. Dummerweise schleicht sich bereits hier eine Verspätung ein, die noch durch ein paar hübsch anzusehende, aber unterm Strich recht sinnfreie Feuershows verlängert wird. Besonders unverständlich ist, das für diese Shows sogar die Filme unterbrochen werden. Der Running Wild Mitschnitt „The Final Jolly Roger“ geht dementsprechend schon mit viel Verspätung ins Rennen, löst aber regelrechte Begeisterungsstürme aus. Vor der Leinwand wird gebangt, gemosht und es findet sogar ein Heiratsantrag statt. Der Lemmy Film danach beginnt mit über einer Stunde Verspätung, was die Fans sichtlich annervt.

Donnerstag:

Kvelertak: Zu den ersten Bullhead City Bands gehören die Norweger KVELERTAK, die von Anfang an ordentlich Alarm machen. Bei auf diesem Festival selten erreichter Soundqualität schreddern sie sich durch einen energiegeladenen Set, der punkige D-Beats neben Black Metal Sturmgitarren stellt. Bedenkt man die Tatsache, dass der Sechser gerade mal ein Album draußen hat, sind erstaunlich viele textsichere Fans vor Ort, die die Band von vorne bis hinten abfeiern. Zu recht, denn KVELERTAK verbinden Spaß und Ausgelassenheit mit ausgereiftem Songwriting. Man kann der Band nur ein stabiles Line-Up wünschen, dann sollte eigentlich nicht viel schief gehen. Einziges Manko: Dank mittiger Wrestlingbühne und einiger Säulen ist die Sicht auf die Bühne für viele Fans verwehrt. Das Bullhead Zelt ist halt keine besonders gute Konzert Location.

Bülent Ceylan: Nach dem Auftritt auf dem Summer Breeze Festival letztes Jahr kommt BÜLENT CEYLAN dieses Jahr also aufs Wacken. Das Programm hat sich nicht groß verändert und der Humor tendiert dummerweise auch nicht zur Langlebigkeit. Dementsprechend sind die Reaktionen auf den Comedian eher zwiegespalten.

Freiwild: Der Überraschungsgig im Zelt vor zwei Jahren war brillant, der Gig auf der Party Stage letztes Jahr eher mittelmäßig, dieses Jahr sollen FREIWILD, die hier schon fast Stammgäste sind, die Black Stage rocken. Und der Anfang macht wirklich Spaß, vor allem „Freiwild“ geht gut nach vorne und schiebt die Stimmung nach oben. Das Publikum ist sehr textsicher und macht bei jedem Song gut mit. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, das FREIWILD am besten sind, wenn sie das Gaspedal durchtreten, etwa bei „Halt deine Schnauze“, „Sieger stehen da auf, wo Verlierer liegen bleiben“ oder natürlich dem Hit „Land der Vollidioten“. Die Ska-Nummer „Weil du mich nur verarscht hast“ ist für dieses Festival dagegen eher unpassend und das restliche Material (z.B. „Weiter immer weiter“ oder „Südtirol“) wirkt in der Umsetzung immer ein kleinen Ticken zu langsam. Dazu harren die Musiker bis auf den Sänger/Gitarristen häufig zu sehr auf einer Stelle aus. Wer „Hoch hinaus“ will, sollte Anlauf nehmen und dann auch einfach mal Speed geben. Womit der Gig zwar gutklassig ist, aber FREIWILD für die Festivalbühnen immer noch das gewisse Quäntchen Energie fehlt, das sie auf Clubbühnen auszeichnet und das ihren Erfolg ausmacht.

Helloween: Die Hamburger starten mit „Are you Metal“ in ihren Set, aber bereits hier fällt ihnen jeweils zum Beginn des Refrains zweimal der Strom aus, so das die Power Metaller erstmal eine Pause einlegen müssen. Danach geht es bei zuerst leisem und undifferenzierten, sich aber beständig verbessertem Sound weiter. Die Musiker machen sich nichst aus dem Zwangsstop und heizen dauergrinsend über die Bühne. Die Setlist ist ein Traum für „Keeper“ Fans, denn von ein paar Neunummern abgesehen kommen fast nur Songs der beiden Scheiben. „Eagle Fly Free“, „Dr. Stein“, „Future World“, „I Want Out“, March Of Time“ sowie ein Medley aus „King Of A Thousand Years“, „Helloween“ und „Keeper Of The Seven Keys“ sorgen für viel Freude. Die Geschwindigkeit wird fast beständig hochgehalten, die Fans bangen und singen mit. Dazwischen erzählt Sänger Andi spaßige Anekdoten über die Trinkgewohnheiten des „schwulen Zwergs“ Dani an den Drums. HELLOWEEN können trotz des Fehlstartes diesen Auftritt als vollen Erfolg verbuchen.

Blind Guardian: BLIND GUARDIAN fahren heute einen vergleichbaren Set auf wie auf ihrer Tour.Dementsprechend versuchen sie die Mitte zwischen dem Speed der Anfangstage und der Epik späterer werke zu treffen, wie sie es auch auf dem letzten Album versucht haben. Die Tendenz geht allerdings eher in Richtung Epik, so das Fans der Anfangstage kaum auf ihre Kosten kommen. Stattdessen gibt es Klassesongs wie „Fly“, „Imaginations From The Other Side“, „Sacred Worlds“ oder „Time Stands Still On Iron Hill“. Dazu der Mitgröhler „Valhalla“ und das Schlussdoppel „Bard's Song“ und „Mirror, Mirror“, das mit großem Feuerwerk unterlegt wird. Man kann BLIND GUARDIAN eine gewisse Vorhersehbarkeit vorwerfen, aber der Set ist für sich genommen erstmal sehr stark und reißt die Leute mit.

Ozzy Osbourne: Nun kommt der Moment, den heutigen OZZY OSBOURNE mit dem gestern auf der Leinwand gesehenen von 1983 zu vergleichen. Viel verändert hat sich nicht: Der Maestro ist ein Grobmotoriker, kann kaum im Takt klatschen, singt dabei nicht so schief wie befürchtet, aber trotzdem alles andere als sauber. Dazu kommt sein gequältes „I can't hear you“, das für den einen oder anderen unfreiwilligen Lacher sorgt. Das konnte man so in der Art erwarten, und ob einem das gefällt oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Immerhin hat Ozzy eine toll aufspielende Band, die sich auch in eigenen Soli präsentieren kann. Besondere Aufmerksamkeit bekommt dabei natürlich Neugitarrist Gus G., der durch treibendes Spiel und super Soli beeindruckt, teilweise aber auch den einen oder anderen Schlenker zu viel spielt und eine deutlich metallischere Note in den Sound einbringt – was den Songs gar nicht schlecht steht. Was den Auftritt allerdings richtig reizvoll macht, ist die Setlist. „I don't know“, „Suicide Solution“, „Mr. Crwoley“, „Bark At The Moon“, „Mama, I'm Coming Home“, „Iron Man“, „War Pigs“, „Crazy Train“ und natürlich das unvermeidliche „Paranoid“ sind nur die Angelpunkte eines begeisternden Set, der noch einmal eindrucksvoll demonstriert, was für ein genialer Musiker OZZY vor seiner Selbstdemontage war. Nummern vom neuen Album gibt es dagegen keine, und sie werden auch nicht richtig vermisst. Trotz der Schwächen des Gigs ist OZZY OSBOURNE in jedem Fall ein würdiger Headliner.

Freitag:

Primal Fear: Bevor heute Abend Judas Priest ihren Gig spielen, darf morgens um 12 Uhr erstmal das Aufwärmkommando auf die Bühne, um dem früh aufstehende Publikum mit ihrem Power/Heavy Metal einzuheizen. Dieses Aufwärmkommando heißt PRIMAL FEAR und kann heute kaum Akzente setzen. Das liegt nicht daran, dass die Perfromance schlecht wäre, sondern eher daran, das die Songs der Truppe im Grundsatz zwar recht schön aus den Boxen knallen, aber kaum echten Wiedererkennungswert besitzen. Somit sind PRIMAL FEAR gutes Genrefutter, haben es aber bei der anwesenden Konkurrenz schwer, im Gedächtnis zu bleiben. Das der Sound vor der Party Stage wie immer viel zu leise ist und man dementsprechend regelmäßig die parallel aufspielenden Ensiferum ins Klangbild geweht bekommt, macht die Sache auch nicht besser. Ein solider Auftritt, aber auch nicht mehr.

Suicidal Tendencies: Als Fan von härterer Rockmusik sollte man einige Bands in seinem Leben nach Möglichkeit einmal gesehen haben. Neben Bands wie Iron Maiden, Metallica oder Motörhead zählen dazu auch Kapellen wie Biohazard oder eben SUICIDAL TENDENCIES – selbst wenn man nicht unbedingt Fan ist. Viele Leute scheinen das ähnlich zu sehen, jedenfalls ist es vor der Bühne schon überraschend voll. Die Amis legen auch gut los und verpassen dem Publikum einen Energieschub nach dem anderen, auch wenn gerade die Traditionalisten ziemlich verständnislos in Richtung Bühne schauen. Die Grooves sind mitreißend und wirken trotz ihres Alters frischer als alles, was die Metralcoreler bis heute auf die Beine gestellt haben. Und das sagt eigentlich schon alles.

Morbid Angel: Das neue Album von MORBID ANGEL „Illud Divinum Insanus“ spaltet die Hörer erwartungsgemäß. Bekommt man einerseits bestes Tech Death Futter geliefert, nerven die Elektroanteile gewaltig. Die gibt es live weiterhin nicht, so dass hier noch alles in Ordnung ist. Die Amis liefern einen beeindruckenden Querschnitt ihrer Karriere ab, in dem sie so nebenbei demonstrieren, wie man hochtechnische Nummern im praktischen Headbangformat schreibt – absolut großartig! Das entschädigt auch dafür, dass auf der Bühne kaum Bewegung herrscht. Das Publikum, in dem sich gerade hier auch viele Südamerikaner finden, dankt es dem Vierer.

Sodom: Was soll man zu SODOM noch sagen, was nicht schon unzählige Male gesagt worden ist? Das Ruhrpotttrio zockt sich durch einen einstündigen Set, bei dem auch mehrere Neunummern zum Zug kommen, dafür aber das viel geforderte „Ausgebomt“ leider ausbleibt. Ebenfalls ausbleiben tut Roberto Blanco: Statt bei Sodom tritt der lieber bei Onkel Tom auf. Egal, „The Saw Is The Law“, „M16“, „“Remember The Fallen“, „Agent Orange“, „Blasphemer“ und „Bombenhagel“ machen den Auftritt auch so zu einem Erfolg, bei dem lediglich der viel zu leise Sound stört. Wer Innovationen erwartet, soll die nicht gerade bei SODOM suchen, die alten Thrash Haudegen machen nur noch das, was sie am besten können – und das mag man halt oder nicht.

Rhapsody Of Fire: Bleiben wir einen Moment lang sachlich: RHAPSODY OF FIRE liefern vor zahlreichen Fans eine solide Show mit einwandfreiem Instrumentalspiel ab. Und nun zur subjektiven Hetze: Die Musik klingt wie eine Mischung aus Dream Theater und Nightwish, die man drei Mal durch den Weichspüler gejagt hat. Der Pathos trieft nur so aus jeder der Kompositionen und macht sie füchterlich klebrig und kaum genießbar. Kernige Gitarren findet man kaum, nur seelenloses Gefrickel, das zwar technisch stark, aber komplett ausdruckslos ist. Die vielen Einspielungen aus dem Off machen die ganze Choose auch nicht besser. RHAPSODY OF FIRE mögen auf CD so halbwegs funktionieren, wenn man auf viel Kitsch und Bombast steht, aber live ist die Band hüftsteif und tendenziell überflüssig.

Morgoth: 20 Jahre „Cursed“ - das muss gefeiert werden. MORGOTH haben sich reformiert – noch ein Grund zum Feiern. Die Truppe bringt D-Beat-Schwedentod at it's best und reißt damit vor allem einen vergleichsweise kleinen Kreis Anhänger mit. Das ist schade und unverdient, denn die Elchtöter spielen sich das Gesäß ab und bringen eine Spitzennummer nach der anderen. Die Thrash- und sogar Punkeinflüsse bleiben trotz der Death Metal Strukturen jederzeit hörbar. Und weil das legendäre „Cursed“ Album gerade Geburtstag feiert, bringen MORGOTH besonders viele Songs dieses Spitzenalbums. Das kommt an und gefällt den Anhängern, die gepflegt das Haupthaar schütteln und sich nicht von den vereinzelt herüberwehenden Heaven Shall Burn Riffs die Laune verderben lassen.

Judas Priest: Es gibt gute Gründe, heute mit nicht zu hohen Erwartungen an JUDAS PRIEST heran zu gehen: K.K. Downing ist nicht mehr dabei, Rob Halfords Stimmleistungen waren in den letzten Jahren nicht immer von der Göttlichkeit gekrönt, die sie in den Achtzigern ausgezeichnet hat. Dennoch pilgert nahezu das gesamte Wacken Open Air zur True Metal Stage, um den Priestern einen würdigen Abschied zu geben. Das die Briten einen Best Off Set versprochen haben, macht den Auftritt natürlich umso interessanter. Und tatsächlich: In dem über zweistündigen Set werden nahezu alle Alben mit mindestens einem Song bedacht, die Karrierehöhepunkte „British Steel“ und „Painkiller“ werden mit vier bzw. zwei Songs gewürdigt. Damit schaffen es JUDAS PRIEST einerseits, etwaige Erwartungshaltungen zu unterlaufen, und dennoch ist für jeden Fan etwas dabei – auch wenn natürlich auch jeder den einen oder anderen Song vermisst hat. Aber Songs wie „Breaking The Law“, „Nightcrawler“, „The Sentinel“, „You've Got Another Thing Comin'“, „Hell Bent For Leather“, „Painkiller“ oder der Rausschmeißer „Living After Midnight“ sind Stimmungsgranaten und treiben das Publikum zu Höchstleistungen – zumindest die, die zum Headbangen gekommen sind und nicht zum rumgucken. Die größte Überraschung des Auftritts dürfte allerdings Rob Halford sein, der singt nämlich doch eine ganze Ecke besser als erwartet, wagt sich auch an die hohen Stellen und meistert sie meistens auch. Selbst „Painkiller“ wird heute souverän rübergerettet und ist das, was es sein soll: Die Definition von Edelstahl und nicht eine Parodie davon. Dazu bewegt sich Halford unerwartet viel auf der Bühne und hängt nicht die ganze Zeit vor seinem Teleprompter. Einen Kritikpunkt kann man sich allerdings nicht verkneifen: Die Band sieht in ihrer Gesamtheit häufig doch eher routiniert und um Coolness bemüht als wirklich begeistert aus. Im Vergleich zu quietschfidelen Millionärsbands wie Metallica oder Iron Maiden stinkt man im Punkt Spielfreude definitiv ab. Das stört aber auch nicht richtig.

Triptykon: Kurz vor dem Festival wurden Cradle of Filth gegen TRIPTYKON ausgetauscht. Das ist ein recht ungleicher Tausch, bei dem die zahlreich anwesende Lack-und-Leder-Fraktion in die Röhre guckt, während Freunde von Black Metal in seiner Frühphase über den Tausch hocherfreut sind. Letztere sind allerdings deutlich in der Minderzahl, und so ist es vor der Bühne nur locker gefüllt, und die meisten Anwesenden sind eher neugierig als wirklich begeistert. Lediglich in den ersten paar Reihen sammeln sich die Fans und bejubeln jeden der großartigen Songs. Der Einstieg ist inzwischen bekannt, das unglaublich schwere „Procreation (Of The Wicked)“ macht den Weg für das neue „Goetia“ frei. Danach kommen drei weitere Celtic Frost Nummern, die das Tempo teilweise ganz schön anziehen. Mit „Synagoga Satanae“ wird das Finale eingeläutet, das mit „The Prolonging“ bestritten wird. Nur sechs Songs – maximale Wirkung. In einer auf diesem Festival einzigartigen Schwärze zelebrieren diese vier Ausnahmemusiker ihren Set zwischen ein bisschen Trauer, viel Wut und noch mehr Hass. Jede Bewegung drückt tiefste Negativität aus, die aber reinigend und nicht zerstörend wirkt und den Zuhörer erschöpft, aber fortgeschritten zurück lässt. Definitiv einer der Höhepunkte des Festivals – egal wie viele Leute ihn tatsächlich zu schätzen wussten.

Slime: Immer mal wieder was Neues: Das Billing des Wacken Open Air umfasst jedes Jahr auch mindestens eine sehenswerte Punkband. Das ist in diesem Jahr SLIME, und der Fünfer macht auf der W.E.T.-Stage ziemlich Alarm. Mit Songs wie „Linke Spießer“, „Schweineherbst“, „Brüllen Zertrümmern und weg“, „Ich war dabei“ oder „Störtebecker“ haben sie das Publikum, das neben der vollzählig anwesenden Anarchofraktion auch viele textsichere Metalheads umfasst, schnell in der Hand. Zudem punktet man mit sympathischen Ansagen. Und so gewinnen SLIME sicherlich heute einige Fans und beweisen nebenbei, das sie noch lange nicht anachronistisch sind. Im Gegenteil: In Zeiten, in denen jede saubergespülte Band ohne Inhalt sich Punk nennen darf, tun die zugegebenermaßen kindisch-naiven, aber authentischen und rohen Saufziegen einfach gut.

Saltatio Mortis: Das Apocalyptica und SALTATIO MORTIS zeitgleich spielen müssen, dürfte die größte Fehlentscheidung im Bühnenmanagement überhaupt gewesen sein, denn die Bands sprechen sich stark überschneidende Zielgruppen an. Da die Cellisten aber dank unfähigem Frontkamel aktuell eher unerträglich sind, ist man mit SALTATIO MORTIS definitiv besser bedient. Die mögen nicht besonders innovativ sein, bringen aber schöne Melodien genauso mit wie eine Metalschlagseite, die man bei vielen Kollegen vermisst. Die Setlist variiert dabei seit Jahren kaum, und das darf auch gerne so bleiben, den Brecher wie „Tritt ein“, „Prometheus“, „Falsche Freunde“ oder „Wir säen den Wind“ machen einfach mal fantastische Stimmung und lassen das Publikum tanzen, springen und mitsingen. Mit „Eulenspiegel“ kommt bereits seit einer Weile ein neuer, vergleichsweise folkiger Song zum Zug, und heute bringt man zudem „Salome“ im Duett mit Doro. Alea ist der vermutlich aktivste Frontmann des Wochenendes und in seiner Performance einfach nur mitreißend, der Rest der Band ist nicht ganz so aktiv, spielt sich aber spürbar fröhlich durch das Set. Und bei so viel Enthusiasmus kann man eigentlich nicht still stehen.

Samstag:

Moonsorrow: Die Pagan Black Metaller aus Finnland überzeugen musikalisch mal wieder auf ganzer Linie. Episches Breitbandriffing trifft auf tolle Wechselgesänge und wird mit dem Keyboard zu einer einzigartigen Klanglandschaft verwoben. Dummerweise haben MOONSORROW heute zwei Feinde: Das Licht und die Spielzeit. 12:00 Uhr ist noch nicht die Zeit für ihren atmosphärischen Sound, der bei aller Qualität kein besonders guter Wachmacher ist. Zudem können gerade mal eine Handvoll Lieder gespielt werden. Ich wiederhole hiermit meinen Wunsch nach einer Headlinertour mit ausgedehnter Spielzeit.

Crashdiet: Wenn eine Band mehr Zeit in die Haarpflege investiert als in die Weiterentwicklung ihrer musikalischen Fähigkeiten, dann ist es Posertime. Die Naturmützenträger von CRASHDIET müssen bei leichtem Nieselregen die Wackener Posergemeinde überzeugen. Das gelingt ihnen mit ihren kurzen und simplen, aber effektiven Songs ganz ausgezeichnet. Das Publikum ist zumindest in den ersten Reihen schon sehr singfreudig und erstaunlich textsicher. So überzeugen CRASHDIET trotz des unpassenden Wetters und der frühen Spielzeit.

Onslaught: ONSLAUGHT im Bullhead Zelt sind endlich der ersehnte Wachmacher, der einem den Schlaf mit flotten Songs aus den Augen treibt. Ein bisschen stumpf, immer brutal mit einem guten, nicht überdimensionierten Schuss Groove treiben die Songs aus den Boxen. Nach dem Opener „Killing Peace“ folgt eine Best-Off Setlist, die es absolut in sich hat. Dazu zeigt sich die Band frisch und hungrig, als ob sie gerade erst ihr Debut rausgehauen hätten. Vor allem Sänger Sy Keeler turnt durch die Gegend und heizt die Meute an, rennt dabei über den Laufsteg bis zum Wrestlingring und fordert immer wieder, „crazy“ zu werden. ONSLAUGHT stehen den beiden großen Thrashbands dieses Festivals, Sodom und Kreator, in Sachen Performance in nichts nach, und wer seinen Thrash klassisch und ohne viel Schnickschnack mag, kommt um diese sympathische Truppe nicht herum. Am Ende gibt es noch ein schönes „Bomber“ Cover, das dem Gig die Krone aufsetzt.

Knorkator: Die Kultband KNORKATOR startet mit „Der perfekte Mann“ in ihren Set und bringt danach Nummern wie „Eigentum“, „Ma Baker“, „Es kotzt mich an“ oder „Alter Mann“. Dazwischen kommen Blödelansagen, Auszieheinlagen und blödelige Klatschspielchen. Die Masse ist begeistert und frisst den nie so richtig weg gewesenen Berlinern aus der Hand. Beobachtet man den Vortrag genauer fallen allerdings zwei Dinge auf: Die Musik wirkt live kaum ertragbar poppig. Und der auf CD fein geschliffene Humor ist live eine ganze Ecke grober und auch bescheuerter, teilweise hinreißend dämlich. Da der Großteil des Publikums aber mit großer Begeisterung dabei ist, qualifiziere ich mich mit dieser Aussage zum humorlosen Graugesicht und wandere dementsprechend ab zu...

Mayhem: MAYHEM haben heute einen ihrer seltenen bodenständigen Tage erwischt: Kein Bühnenaufbau, keine Verkleidung für Attila, der einfach nur in Jeans, Jacke und Voivod Shirt rumläuft. Zumindest Musikgeschmack hat der Kerl also. Ob einem die Show gefällt, ist hingegen eine Frage des Standpunktes. Wenn man die Norweger als reine Entertainer betrachtet, wird man heute tendenziell enttäuscht, denn bis auf ein bisschen theatralisches Gehabe kommt von Attila in der Richtung nichts. Zudem wirkt sich das Tageslicht, auch wenn es von Wolken verdeckt wird, negativ auf die Show aus. Musikalisch gibt es dagegen einmal mehr die Vollbedienung: „Anti“, „My Death“, „Freezing Moon“, „Deathcrush“, Pagan Fears“ etc., die allesamt großartig von der Band interpretiert werden und klassischen Black Metal ohne überflüssiges Scheuklappendenken repräsentieren.

Iced Earth: Scheiden tut weh. Heute ist es Matt Barlow, von dem Abschied genommen werden muss. Vorher heizen ICED EARTH dem Publikum aber nochmal ein, aber vom Feinsten. „I Died For You“, „The Coming Curse“, „Burning Times“, „The Hunter“, die Zugabe „Iced Earth“, alles wird von der Band bei mittelmäßigem Sound noch einmal zum Besten gegeben. Matt Barlow steht natürlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und kann seine Rührung gerade zum Ende hin nicht mehr verbergen. Auch wenn heute aufgrund der Spielzeit einige Hits (z.B. „Dracula“ oder „Melancholy“) fehlen, das ist ein ganz großer Auftritt. Schade, das man all diese Stücke von nun an von jemand anderem gesungen hören muss – der Ersatzmann wird es schwer haben.

Vreid: VREID gehören zu den wenigen norwegischen Black Metal Bands, die auch heute noch für Innovation stehen. Ursprünglich die vermutlich beste, weil ernsthafteste Black'n'Roll Band, entwickelte man sich mit den letzten beiden Alben in eine zunehmend progressive Richtung. Die steht dem Windir Nachfolger sicherlich nicht schlecht, muss aber definitiv noch ausgebaut werden. Am stärksten sind VREID jedenfalls, wenn sie das Gaspedal bei Nummern wie „Speak Goddamnit“, „Raped By Light“ oder „Pitch Black“ bis zum Anschlag durchdrücken, Songs wie der Opener „Arche“ machen hingegen Spaß, lassen aber noch Luft nach oben. So kann der heutige Auftritt definitiv genossen und gleichzeitig der nächste erwartet werden. Was will man mehr?

Avantasia: Die Power Metal Oper verabschiedet sich für längere Zeit von der Bühne, da Tobias Sammet sich erstmal wieder auf Edguy konzentrieren möchte. Dementsprechend schwingen einige bittersüße Momente mit, und eine solche Starbesetzung des Heavy/Power Metal bekommt man sicherlich auch nicht so schnell wieder zu sehen. Tobi singt sich zusammen mit Amanda Sommerville, Michael Kiske, Bob Catley, Jorn Lande und Kai Hansen durch einen Set, der alle Alben vereint und ein ungemein stimmiges Gesamtbild gibt. Auch wenn die Superlativen, mit denen dieses Projekt bedacht wird, gelegentlich ziemlich dick aufgetragen werden, sind Songs und Performance einfach mal stark – wenn man auf schönen, gelegentlich ziemlich kitschigen Power Metal steht.

Kreator: Bei KREATOR gibt es nicht viel neues: Die Performance ist stark, die Setlist ist vorhersehbar und bietet mit „Reconquering The Throne“ nur einen Song, der bei den letzten paar Touren nicht im Programm war, die Ansagen kennt man auch schon, und zu allem Überfluss ist der Sound extrem undifferenziert. Aber die Essener würden nicht als einer der besten Liveacts im Extremmetalbereich gelten, wenn sie das ernsthaft aufhalten würde. Sicherlich hat man KREATOR auch schon stärker gesehen, aber selbst die nicht ganz so starke Show von heute steckt weite Teile der Konkurrenz locker in die Tasche. „Violent Revolution“, „Voices Of The Dead“, „Endless Pain“, „Pleasure To Kill“ und „Phobia“ sind nicht umsonst bewährte Livesongs und haben bisher noch jede Meute zum kochen bekommen – auch wenn Mille heute sicherlich nicht den größten Moshpit des Festivals bekommt, den er fordert.

Motörhead: Der bei Kreator einsetzende Nieselregen wird stärker und vor allem beständig, bis zum Festivalende gibt es keine größeren Regenpausen mehr. Dagegen hilft ins Zelt rennen oder enger zusammenrücken. Bei MOTÖRHEAD passiert hauptsächlich letzteres, was wohl das größte Lob ist, das eine Band bekommen kann. Trotz Dauerregens ist das Gelände selten so voll wie bei den Motorköppen – und das, obwohl auch deren Show tendenziell innovationsarm ist. Aber mitreißend ist sie trotzdem. Lemmy ist gut drauf, bedankt sich vergleichsweise ausführlich beim Publikum und bringt neben Standarts wie „Bomber“ (mit dem Bomber an der Bühnendecke), „Ace Of Spades“, „Overkill“ oder „Iron Fist“ auch „Going To Brazil“ oder „Just 'cos You Got The Power“ und zwei neue Songs („Get Back In Line“, „I Know How To Die“). Zumindest die Setlist hat also das eine oder andere zu bieten. Zudem haben MOTÖRHEAD einen vergleichsweise guten Sound, so dass das Zuhören auch Spaß macht. Auch wenn MOTÖRHEAD, wie Lemmy selbst in einer seiner Ansagen anmerkt, gefühlt über hundert Mal in Wacken waren, macht es immer wieder Spaß, sie dort zu haben.

Children Of Bodom: Bei den finnischen Vollzeitalkoholikern ging es in letzter Zeit häufig eher routiniert als wirklich begeistert zu. Das ist auch heute nicht anders: Die Kulisse ist groß, mehrere Keyboards sind auf der Bühne verteilt, Podeste sind aufgestellt und die Feuershow reicht, um mittelgroße Wohnblocks in die Luft zu jagen, aber die Band agiert kaum mehr als professionell. Da hilft auch das große Bühnenbild nix. Was hingegen hilft, ist, mal genauer hinzuhören, denn die spielerische Leistung, die in der Vergangenheit mehrfach alkoholbedingt mehr oder weniger stark gelitten hat, ist heute einfach nur brillant. Alexi soliert konzentriert und verspielt sich auch bei noch so anspruchsvollen Soloexkursen nicht – das gab es schon verdammt lange nicht mehr. Die Setlist mag Durchschnitt sein, doch es ist einfach eine Freude, diesen großartigen Musikern bei ihrem Kerngeschäft zuzuhören – da brauch ich dann auch keine Animation. Ebenso wenig wie gutes Wetter, der Platzregen, der zwischenzeitlich niedergeht, stört kaum jemanden ernsthaft.

Tauthr: Da man Subway To Sally an jeder Straßenecke sieht, bietet es sich zwangsläufig an, mal nach dem Alternativprogramm zu schauen. Das nennt sich TAUTHR, hat letztes Jahr ein starkes Debüt herausgebracht, obwohl es bereits seit 1991 existiert, und besteht zu 2/5 aus Endstille Leuten. Dementsprechend klingt der Sound auch schön fies, aber im Durchschnitt midtempolastiger und abwechslungsreicher als bei Endstille. Der Sound ist kalt und klirrend, leider will der blödelnde Frontmann Sator nicht so recht dazu passen. Der Kerl ist ungefähr so Black Metal wie eine blüteweiß gestrichene Kirche für Vegetarier. Zudem lässt die Band ihren besten Song „Curse Or Destiny“ in der Truhe versauern. Das ist schade und gibt dem ansonsten recht starken Gig einen faden Beigeschmack.

Fazit: Wacken ist Wacken, mit allen Vor- und Nachteilen. Das weiß man im Voraus und kann sich dann entscheiden, ob man hinfährt. Üblicherweise entschädigen die Bands für viel, und so war es auch dieses Jahr.

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