
Wer auf dieses Konzept blickt, kommt von selbst drauf, dass auch live geklotzt statt gekleckert wird. Das fängt bei der Setlist an: „Als wir das neue Album fertig hatten, hab ich mich so darauf gefreut, die Stücke live zu spielen. Aber wir haben ja auch ein paar alte Stücke, also hab ich eine Setlist geschrieben, die dann halt drei Stunden lang wurde.“ Das ist eine leichte Übertreibung, doch die zweieinhalb-Stunden-Marke knackt das Konzert locker (ob die Autogrammpause dazwischen jetzt sein musste, sei mal dahingestellt). Das aktuelle Album wird umfangreich bedacht, wobei vor allem 'Wenn du Hilfe brauchst', 'Feuerzug', 'Rote Sinfonie' und der aufgrund eines Videodrehs zwei Mal gespielte Titelsong ordentlich Stimmung entfachen. Zusätzlich gibt es einen Querschnitt durch die Karriere der Band, die live zum Quintett anwächst. Songs wie der Rausschmeißer 'Feuer', 'Ich bin der brennende Komet' (als Opener) oder 'Stolzes Herz' werden von der superben Liveband in Konzertversionen veredelt, wobei kein Instrument heraussticht, da alle gleichermaßen sehr gefühlvoll und songorientiert spielen, aber auch genügend Raum bekommen, um ihre Fähigkeiten voll ausleben zu können (in Balladen werden gerne mal Scorpions-artige Gitarrensoli eingebaut). Leider fällt eine Gitarre zeitweise aus, was gerade die instrumentalen Alleingänge in diesem Zeitraum behindert. Keyboarderin Anne Lurmi (neben Tilo einziges festes Mitglied) agiert routiniert und überzeugt am Keyboard, hat aber ihre Schwächen im etwas dünnen Gesang. Das Problem hat Tilo nicht. Um ihn dreht sich die gesamte Aufmerksamkeit, was einen in meinen Augen ungerechtfertigten Schatten auf seine Mitmusiker wirft. Zwischen den Songs ist er nicht gerade der Meister der großen Worte und gibt sich etwas schüchtern, gesanglich brilliert er jedoch fast durchgängig, stößt selten an seine Grenzen und hat nebenbei astreine Chris Barnes-Growls drauf (seine mittigen Shouts sollte er sich dagegen klemmen). Auch am Klavier macht das Wöllfchen eine gute Figur.
Erstaunen tut mich das Publikum – es herrscht längst nicht die Bewegung, die ich erwartet hätte, und auch die Textsicherheit ist geringer als erwartet – und das nicht nur bei den neuen Songs. Liegt es daran, dass LACRIMOSA sich in Deutschland im Vergleich zu Bands wie Eisbrecher oder Subway To Sally eher rar machen, oder sind die Songs tatsächlich schwerer mitzusingen? Jedenfalls hält sich die Stimmgewalt der Fans in starken Grenzen (anders als der Applaus). Erst mit der Zeit fangen einige Leute zu tanzen an. Das ist aber auch nur eine Randnotiz, und zumindest beim Rausschmeißer 'Feuer' ist dann doch ganz gut was los. Alles andere wäre dem heutigen Abend aber auch nicht gerecht geworden.
Felix Patzig
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